Heute meldet sich Stephan Schöller von “Schöller Wein & Analytik” zu Wort und teilt und seine Meinung zum Jahrgang 2010 mit:
Für jeden Rheinland-Pfälzer
reicht es gerade für eine Flasche
Über den 2010er Weinjahrgang ist ja schon viel diskutiert und geschrieben worden.
Dass die Ernte knapp werden würde, war allseits erwartet worden. Dass bei den meisten Sorten aber nur ca. 50 bis 60% einer normalen Ernte tatsächlich geerntet wurden, lässt Engpässe für die Vermarktung erwarten. In Flaschen bedeutet dies runde 3,5 Mio Stück, also gerademal eine Flasche für jeden erwachsenen Rheinland-Pfälzer oder ca. 1 Liter Wein oder Traubensaft/Tag für jeden Bodenheimer Bürger.
Heißt dies jetzt schnell noch einiges auf Vorrat ordern, damit man nach dem St.Albansfest auch noch ein Schlückchen Bodenheimer Wein genießen kann?
Ganz so dramatisch wird die Lage nicht werden, da viele Bodenheimer Winzer durchaus auch einen guten Kellervorrat haben, besonders trifft dies auf die reifen und komplexen Rotweine aus 2009 zu.
Wie ist der aktuelle Jahrgang eigentlich einzuschätzen?
In Rheinhessen, somit auch in Bodenheim, ist die Temperatur- und Niederschlagsverteilung nicht jedes Jahr gleich, ganz im Gegensatz zu vielen südlichen Weinregionen auf der Welt. Entscheidend für die Ertragsmenge ist die Witterung während der Blüte. In dieser Zeit (Anfang Juni) war in Bodenheim wechselnde und kühl-feuchte Witterung angesagt, d.h. die Befruchtung der Blütchen war nur unvollständig, sodaß dies zu sehr lockeren Trauben mit wenig Beeren führte.
Für die Qualität der Trauben zeichnet das Wetter im August und Oktober verantwortlich. Warme Nächte im Spätsommer reduzieren die Säure in den grünen Beeren. Die natürliche Fruchtsäure ist deshalb bei den aktuellen Weinen deutlich erhöht, da die Sonnenscheinstunden die niedrigste Summe im letzten Jahrzehnt waren. Dies kann der Weintrinker auch mit seiner eigenen Zunge erschmecken. Nach dem Motto “Sauer macht lustig” ist dies einerseits ein deutliches Geschmacksmerkmal für den 2010er, anderseits steht Fruchtsäure für Anregung, Appetitmachen, Leichtigkeit und Frische.
Dank der Sonne des Goldenen Oktobers konnte noch ausreichend Zucker in den Beeren gebildet werden, so dass die Weine nach der Umwandlung des traubeneigen Zuckers bei der alkoholischen Gärung jetzt über genügend Alkohol und damit Körper und Gerüst verfügen.
Somit sind die 2010er Weine jung getrunken ideale Frühlings- und Sommerweine. Durch ihre Säurefinesse verfügen sie aber gleichzeitig über eine hohes Lagerpotential, dass der Jahrgang noch in einigen Jahren die Geschmacksnerven kitzeln kann.
Frei nach dem Motto der Rühmann’schen Feuerzangenbowle:
“Meine Damen und Herren, nur ein wüüüünziges Schlückchen…” (damit die kleine Erntemenge auch 2012 noch vorrätig ist) können wir vom 2010er interessante und die Weinwelt bereichernde Tropfen erwarten.